Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus by David Harvey

Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus by David Harvey

Autor:David Harvey [Harvey, David]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2015-04-21T16:00:00+00:00


Widerspruch 12

Soziale Ungleichheit

Nach einer Analyse der Steuerbehörde ergaben die Steuererklärungen des Jahres 2012 für New York, dass das durchschnittliche Einkommen der reichsten 1 Prozent 3,57 Millionen Dollar betrug, während etwa die Hälfte der Menschen mit weniger als 30 000 Dollar pro Jahr über die Runden kommen muss. In drei Tagen verdienten die Superreichen mehr Geld als die meisten New Yorker in einem Jahr. Diese Differenz ist in jeder Hinsicht erstaunlich, in Hinblick auf die soziale Ungleichheit nimmt New York sicherlich weltweit einen Spitzenrang ein. Andererseits sollten diese Zahlen niemanden überraschen, bedenkt man, was führende Hedgefonds-Manager verdienen (fünf von ihnen hatten 2009 jeweils ein Jahreseinkommen von mehr als 3 Milliarden Dollar) und was für Boni von den großen Banken gezahlt werden. Erwartungsgemäß sind die Einkommensunterschiede anderswo in Amerika nicht annähernd so krass, wenn sie auch seit den Siebzigerjahren deutlich zugenommen haben.

Hier lässt sich nur eine stark vereinfachte Darstellung dieses globalen Trends geben. In der Geschichte des Kapitalismus gab es ständig Auseinandersetzungen um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Die Ergebnisse unterschieden sich erheblich von Staat zu Staat, Region zu Region und Stadt zu Stadt. Dabei kämpften verschiedene Gruppen und Klassen gegeneinander, um sich einen vermeintlich fairen Anteil am Produkt der gesellschaftlichen Arbeit zu verschaffen. Berücksichtigt man, dass der Staat Steuern erheben und damit Reichtum und Einkommen umverteilen konnte, hing viel davon ab, welche politische Gruppierung an der Macht war.

Häufig waren diese Verteilungskämpfe erbittert und die Ergebnisse schwer vorherzusagen. Manchmal aber auch nicht. Nach dem Staatsstreich 1973 in Chile war zu erwarten, dass sich die Verteilung des Reichtums in Richtung größerer Ungleichheit verschob, da sich die Eliten, die den Putsch unterstützt hatten, nun großzügig bedienten. In Russland riss sich eine kleine Bande von Oligarchen nach 1989 den größten Teil der natürlichen Ressourcen unter den Nagel. Die ehemalige Sowjetunion kann heute eine der weltweit höchsten Konzentrationen an Milliardären vorweisen – eine echte Oligarchie. Dagegen schuf die Labourregierung in Großbritannien nach 1945 einen Wohlfahrtsstaat, der die einkommensschwächsten Schichten unterstützte. Der Kalte Krieg und die starken sozialdemokratischen Impulse zwangen die kapitalistischen Staaten im Allgemeinen dazu, die Lebensbedingungen ganzer Bevölkerungsschichten zu verbessern. Sozialistisch war dieser Wohlfahrtsstaat dennoch nicht. Er war von Sexismus, Paternalismus und Kapitalismus so stark geprägt, dass er sich gegenüber der eigenen Klientel demütigend, pönalisierend und bürokratisch verhielt. Die Hüter des Wohlfahrtsstaates verhielten sich nicht selten unfreundlich und inhuman, obwohl einige staatliche Leistungen (wie die Sozialversicherung und Altersvorsorge) mehr Sicherheit für alle brachten. Progressive Linke fanden denn auch genug Gründe, ihn harsch zu kritisieren, bis ihm die neoliberale thatcheristische Gegenrevolution den Garaus machte. Der Zusammenbruch des Kommunismus im Jahr 1989 befreite die westlichen Staaten von dem externen Druck, entweder für das Wohl ihrer Bürger zu sorgen oder sich auf eine starke politische Opposition gefasst zu machen.

Auch ohne solche tiefgreifenden Umwälzungen sorgen die Kämpfe zwischen Klassen oder ethnischen Gruppen und das Auf und Ab der Wirtschaft dafür, dass die Verteilung von Einkommen und Reichtum höchst unterschiedlich ausfällt. In Skandinavien war sie bis vor kurzem sehr viel gleichmäßiger als in den Vereinigten Staaten, und das schon bevor die Reagan-Revolution begann, das Kapital zu bevorteilen.



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